Seine Sucht ist heute die Musik

Die Geschichte des Tobias Ulm

 

Dinge ändern sich im Leben, zum Schlechten, wie zum Guten. Tobias Ulm kann im wahrsten Sinne des Wortes ein Lied davon singen.

Tobias ist 22 Jahre alt und hat die klassische Abstiegskarriere hinter sich: Alkohol- und Drogenprobleme, Einbrüche und Überfälle zur Geldbeschaffung, zwei Jahre in der Jugendvollzugsanstalt. Oft der Anfang vom Ende vieler junger Menschen mit diesem Hintergrund.

Tobias weitere Geschichte liest sich aber ganz anders.

Musikbegeistert sei er schon immer gewesen, erzählt er. Ein wenig Keyboard habe er gelernt, den Unterricht jedoch irgendwann abgebrochen.

Tobias lacht. „Ich habe am liebsten gesungen, einfach die gängigen Lieder im Radio mitgeschmettert“. Und genau das hat er an irgendeinem Abend in seiner Einzelzelle getan.

Eine Einzelzelle in der JVA ist spartanisch eingerichtet: Bett, Tisch, Stuhl, kein Radio. Dieses muss sich der Häftling kaufen, und dazu ist nicht jeder junge Gefangene in der Lage. Tobias hatte Glück: seine Eltern besorgten ihm ein Radio. Und damit beginnt die Geschichte des Tobias Ulm:

 

Seine Mitgefangenen hören ihn in seiner Zelle singen und finden ihn gut. Tobias erfährt zum ersten Mal von der so genannten Knastband in der JVA. Die Band ist ein flüchtiges Gebilde, da natürlich immer wieder Gefangene entlassen und neue Musiker gesucht werden, aber sie existiert.

Tobias startet als Sänger in der Band. Mittwochs wird geprobt und Sonntags beim Gottesdienst wird gespielt. „Es gibt wenige, die sich trauen sich vor die Leute zu stellen und zu singen oder zu spielen“, sagt Tobias.

Es bleibt nicht beim Singen, bald spielt er auch wieder das Keyboard . Musikinstrumente sind eigentlich nicht erlaubt in der JVA, außer Gitarren. Tobias will weiter Musik machen, sich beschäftigen, sich bilden und erhält die Erlaubnis eine Gitarre von seiner Mutter zu bekommen, aber nur eine mit Nylonsaiten, Stahlsaiten sind im Knast nicht erlaubt. Dabei kann er überhaupt nicht spielen. Aber er übt. Tobias übt drei , fünf Stunden am Tag, wenn er nicht für seinen Abschluß als Metallarbeiter büffeln muss, den macht er nämlich auch dort im Knast. Sein Notendurchschnitt im Abschlußzeugnis der Berufsschule ist 1,4.

Musik bleibt jedoch die Hauptsache. „Ich habe zunächst immer nur ein Lied gespielt, das bloß aus zwei Griffen bestand“, erklärt Tobias. Drei DIN A 4 Seiten mit Gitarrengriffen erhält er von seinem Berufsschullehrer, und Tobias lernt diese Griffe wie besessen. Seine Finger, sein Rücken vom Sitzen auf dem unbequemen Holzstuhl - alles tut ihm weh - aber nun ist er fast schon süchtig nach der Musik.

 

 

Es reicht ihm noch nicht. Nun will er auch noch das Texten lernen. Es ist da so viel in seinem Kopf, von dem er erzählen mag, das raus will. Er erhält die Erlaubnis mit einem Außenstehenden - also keinem Häftling - das sogenannte „dissen“ zu üben. Das gab es noch nie in der JVA, Tobias erhält aber die Genehmigung.

Beim „dissen“ werden Texte hin und hergeschickt, über irgendein Thema. Man puscht einander auf, korrigiert sich, wetteifert, wer den besseren Text zustande bringt. Dabei sind keine Grenzen gesetzt, man kann alle Themen, alle Worte verwenden, allerdings auch Tabuthemen ausklammern. Große Rap-Künstler machen das, wie Bushido und Sido.

Tobias lernt also seine ersten Texte zu schreiben, bringt eine unglaubliche Schaffenskraft auf, möchte sich alles von der Seele reden. Er schreibt über die Einsamkeit im Knast, über die Liebe, über die Schwierigkeit des Freigangs, über die Sucht. Er reimt, trägt improvisierte Freistil-Texte vor, er schreibt ein Lied nur für seine Mom und ein Entschuldigungslied für alle, die er geschädigt hat, damals, als er auf der schiefen Bahn war.

Die Knastband gibt nun Zusatzkonzerte. An Weihnachten spielen sie, beim Sportfest. Und sie haben auch Gelegenheit einemal draußen zu spielen, außerhalb der Mauern. Über das Response-Projekt des Bayerischen Rundfunks, bei dem neue Talente gesucht werden, kommen die JVA-Musiker nach München an den Gasteig. Diesmal spielen sie klassische Sachen, Schönbergs Variationen dürfen sie interpretieren und Tobias hat einen Text dazu schreiben dürfen, einen richtig üblen für den Bösewicht in der Geschichte.

 

Nach zwei Jahren wird Tobias entlassen aus der JVA. Bei einer Metallverarbeitungsfirma bekommt er einen Job. Er ist Realist, seine Musik kommt jetzt an zweiter Stelle, abends, wenn er von der Arbeit kommt. Aber die Musik bestimmt weiterhin sein Leben. Einen Fleyer läßt er mit Hilfe seiner Eltern drucken, den er überall in seiner Gegend verteilt. Darin stellt er sich vor, outet sich als ehemaligen Knasti, erzählt seine Geschichte in Jugendforen, in Schulen, in Vereinen. Sein Programm dauert eine Stunde, manchmal mehr. Er ist für alle Fragen offen.

Man kann Tobias buchen. Für ein wenig Entgeld und vielleicht für die Übernahme der Fahrtkosten tritt er am liebsten in Schulen auf, da möchte er den Jugendlichen seine Story erzählen. Er muss dazu die Erlaubnis des Direktors haben, er kann nicht einfach hingehen und spielen. „Ich muss fragen, ob sie einen wie mich überhaupt wollen“, sagt Tobias.

Einem wie ihm sollte man zuhören.


Weitere Infos zu Tobias und seiner Musik findet man unter:


www.tobiasulm.com

 

 

 

Text und Fotos: Regina Wahl-Geiger